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#117 Der Künstler: Aus zartem Stoff gewebt

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Alles bleibt anders.
Rohan de Rijk

Grober Klotz vs. Zarter Stoff

Schauen wir uns das Seelengerüst eines Künstlers an, so finden wir einen eher zart besaiteten Menschen als einen unbehauenen Klotz. Wobei die Spannbreite enorm sein kann. Es fällt aber auf, dass der Künstler im Allgemeinen eher zart besaitet ist und überproportional einen Hang zu bewusstseinserweiternden Substanzen oder Flüssigkeiten entwickelt. Stellt sich die Frage, ist diese Affinität für die Erweiterung oder Dämpfung gedacht?

Überschießende Kreativität

Das Gehirn ist ein elendes Plappermaul. Nicht nur bei Künstlern, sondern bei jedem der Spezies Homo sapiens. Beweisbar durch Gespräche mit anderen Betroffenen, also jedem Menschen, der über diesen meistens lästigen Makel der Gattung Mensch Auskunft geben möchte, was nicht immer der Fall ist, da vielleicht eine gewisse Peinlichkeit mit diesem Thema einhergeht. Der Starke könnte auf ein Mal gewöhnlich und schwach erscheinen.
Wenn ich aus berufenem Munde sprechen darf: Bei mir rattern so viele Ideen, Projekte und künstlerische Fragmente (was immer das auch sein mag) durch die Hirnschale, dass ich dem Ganzen öfter mal Einhalt gebieten muss. Wer jetzt glaubt, dass es eine Beichte für den Gebrauch von Substanzen oder Flüssigkeiten ist, der irrt.

Ich bin Team “Zarter Stoff”

Was sind die Zugangsvoraussetzungen für das Team “Zarter Stoff”: Für den Triple-A-Pass (All Access Area) benötigt man die Fähigkeit, schnell beleidigt zu sein, wenn Kritik an einem geübt wird. Nachtragend zu sein ist auch keine schlechte Eigenschaft. Aber wenn man den “Zarten Stoff” in seiner Königsdisziplin beherrschen will, dann ärgert man sich noch Jahre danach über das, was man gesagt oder nicht gesagt hat, oder das, was man getan oder nicht getan hat.
Wie man sieht, ist Team “Zarter Stoff” eher ein harter Stoff, wenn man in Frieden leben will. Die meisten Künstler leben nicht in Frieden, sondern wehren sich immer wieder gegen die Dämonen aus der Vergangenheit oder lassen sich von diesen Dämonen die Zukunft vorausorakeln.

Der Nutzen ist groß und die Kosten auch

Wenn es eine Betriebswirtschaftslehre in Bezug auf Kreativität geben würde, wie sähe eine Kosten-Nutzen-Rechnung aus?
Wenn wir davon ausgehen, dass Kreativität eng an die Sensibilität geknüpft ist, und im Umkehrschluss diese Sensibilität den Künstler immer wieder in die seelischen Abgründe schubst, dann muss auf der Nutzen-Seite ein enorm riesiges Plus stehen, damit man die Kosten, sprich die seelisch Grausamkeit, mit die der Mensch sich selbst verstümmelt, aushalten kann.
Ich finde lange Sätze toll, aber das Ergebnis ist doch ganz einfach: Je erfolgreicher der Künstler ist, desto eher kann man die negativen Folgen ertragen.
Soweit die Theorie.
In der Praxis höre ich die Mitglieder des Club 27 aus ihren Gräbern heulen und schreien.

Das Eine nicht ohne das Andere

Aber habe ich eine Wahl? Sind diese beiden Zustände meiner Selbst so miteinander verknüpft, dass ich keine Wahl habe?
Die Antwort fällt schwer, da ich nur aus meiner Perspektive sprechen kann, und ja, das Eine geht nicht ohne das Andere. Um noch ein wenig tiefer zu bohren: Man hat sich nicht selbst gemacht, muss aber mit den Konsequenzen leben, die das Team “Zarter Stoff” mit sich bringt.

Die Hornhautdiät

Man könnte versuchen, sich diese negativen Eigenschaften abzugewöhnen. Ein ganz persönliches Clickertraining mit einem Leckerli als Belohnung. Eine Hornhaut anschaffen gegen die Kritiker oder andere nervige Gestalten. Man kann versuchen, die negativen Gedanken ziehen zu lassen. Könnte funktionieren. Aber machen wir uns nichts vor: Keine Hornhaut und auch kein Clickertraining hilft gegen die Schnelligkeit unseres Gehirns, dass uns im Bruchteil eines Bruchteils die Unzulänglichkeiten unserer Vergangenheit schonungslos vor die geistigen Füße wirft und schon kann man alle Anstrengungen auf den Müll werfen. Man hängt wieder am Fliegenfänger der Selbstzweifel.

Schulterzucken als Fazit

Wenn man es schafft, die “Fehler” der Vergangenheit mit einem Schulterzucken dorthin zu verbannen, wo sie hingehören, nämlich in die Vergangenheit, dann hat man einen Teilsieg errungen. Und mal ganz ehrlich: Die Vergangenheit kann man nicht mehr ändern (außer mit einer Zeitmaschine), warum soll man sich immer und immer wieder mit dem Gewesenen geißeln?
Und meistens sind die Leute, die einen am meisten kritisieren, diejenigen, die am meisten neiden. Nach Oscar Wilde ist sowieso der Neid die höchste Form der Anerkennung.

Wenn ihr auch zum Team “Zarter Stoff” gehört, lasst euch nicht unterkriegen und frönt der Kreativität. Denn Kreativität ist ein unschätzbar hohes Gut.

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Rohan de Rijk

Rohan de Rijk wurde in den 68er Jahren in Düsseldorf geboren. Rohan bezeichnet sich seit frühester Kindheit als „Extrem-Leser“. Sein erster Thriller „Schnee am Strand“ erschien 2018. Davor hatte Rohan einige Kurzgeschichten und den Gedichtband „düster Zeilen“ veröffentlicht. Er bekennt sich zum Selfpublishing, weil seine Kreativität dort am besten zum Tragen kommt. Als gelernter Mediengestalter designt er seine Cover selber. So ist jedes Buch ein 100%iger Rohan de Rijk. Sein Leben als Schriftsteller und Freigeist teilt er mit der Welt in seinem Podcast „Rohan´s 13 Minutes“. Rohan de Rijk lebt heute mit seiner Familie in Mönchengladbach und in Noord-Holland.

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