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#119 Mythos Chancengleichheit

Fernsehen bildet. Immer, wenn der Fernseher an ist, gehe ich in ein anderes Zimmer und lese.
Groucho Max

Am Anfang war das weiße Blatt

Wir werden in die Welt geschmissen, als weißes Blatt. Gehen wir einmal davon aus, dass dies stimmt und die Genetik keine wesentliche Rolle dabei spielt, wer wir sind oder was aus uns werden wird. Dann müsste die gesamte Menschheit, acht Milliarden Typen und Typinnen, alle denselben Startpunkt haben und Chancengleichheit nicht nur ein Konstrukt auf dem Papier.

The difference between Dem und Dem

Woher kommen dann die Unterschiede, die aus dem einen einen Professor und aus dem anderen einen Pfandflaschensammler machen?
Ziehen wir wieder das weiße Blatt der Geburt hinzu und fangen ein wenig an, darauf zu malen und nennen das Ganze Prägung.
Vielleicht zeigt das eine Blatt einen Stinkefinger. Also der Ausdruck, des “nicht gewollt” sein. Dies ist nicht von der Hand zu weisen. Wie viele Kinder werden ungewollt in die Gesellschaft geworfen und bekommen dieses immer und immer wieder zu spüren. Wie viele Kinder, die dieses Schicksal erleiden und erleiden werden, werden immer wieder auf “Start” geschickt, ohne 2000 Euro einzuheimsen. Immer und immer wieder werden sie versuchen, das Leben auf die Art zu meistern, wie ihre Eltern es vorgelebt bekommen haben oder wie es die Gesellschaft einem diktiert.
Nehmen wir uns ein anderes weißes Blatt und bemalen es mit Liebe und Fürsorge.
Ich brauche den Weg nicht weiter aufzuzeichnen. Bei manchen Menschen hat sich die Chancengleichheit schon mit dem ersten Atemzug pulverisiert.

Der Kindergarten, die Schule, die Klamotten

Die Differenzierung geht weiter. Unfürsorge zeigt sich dann, wenn die Kinder schon sehr und damit meine ich sehr früh im Kindergarten, man nennt es so niedlich Krippe, abgeladen werden. Andere Sprösslinge werden erst mit vier Jahren abgegeben und dann mit einer langen Eingewöhnungsphase verwöhnt. Hier kennt die Chancengleichheit keine gesellschaftlichen Abgründe, vielleicht sind es sogar diejenigen, die ihre Kinder zu früh abladen, die am meisten Geld in der Kita haben.
Dieses Bild wird in der Schule wieder ein ganz anderes sein. Die Eltern, die ihre Kinder zu wertvollen Mitgliedern der Gesellschaft erziehen möchten, werden diese aber auch schon früh dem Druck eben dieser Gesellschaft aussetzen. Leistung ist alles und wenn es nicht funktioniert, dann muss über Nachhilfeunterricht nachgeschärft werden. Versagen ist keine Option. Kinder aus bildungsfernen Haushalten, der Mist stammt nicht von mir, bekommen die andere Seite der Medaille zu Gesicht. Vernachlässigung, Desinteresse, Chancenungleichheit auf Kosten der Kinder, egal von welcher Seite man es betrachtet.
Schimpf und Schande über die Länder, die eine Schuluniform fordern. Uniformität in diesem Alter? Das ist der Gipfel der Entsagung von der Individualität der Jugend. Gut wenn man einmal davon absieht, dass immer und immer wieder der gleiche Unterrichtsstoff über die Schüler ausgeschüttet wird, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, wo die Neigungen des Individuums liegen, das in der Schule aber bloß kein Individuum sein darf.
Back to the Klamotten. Kinder, die aus der Rotkreuz-Tüte angezogen werden, haben keine Chance. Die Leistung zählt, die Klamotte zählt und die Lehrer schauen zu. Untätig, wo doch allerorts die Chancengleichheit postuliert wird.

Knüppelhartes Kreuz

Wer von unten kommt und nach oben möchte, der muss einen langen Atem haben und viel, sehr viel Arbeit aufwenden, um sich von dem zu lösen, was er von zu Hause mitbekommen hat.
Hier steht nicht der finanzielle Background der Eltern im Vordergrund, es geht einzig und allein darum, wie der Mensch erwachsen geworden ist. Die beste Schulbildung nützt nichts, wenn die Empathie ein verdorrtes Pflänzchen ist. Aber mit Empathie und wenig Bildung kommt man auch nicht sonderlich weit.
Es ist schwer, aus einem weißen Blatt einen Menschen auf seinem Weg zu begleiten, der sowohl das eine als auch das andere bekommen soll. Viele, wenn nicht sogar alle, die diesen Weg gehen, merken, dass dieser Weg nicht nur steinig, sondern auch verdammt einsam und “Chancengleichheit” nur eine Worthülse ohne Inhalt ist.

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Rohan de Rijk

Rohan de Rijk wurde in den 68er Jahren in Düsseldorf geboren. Rohan bezeichnet sich seit frühester Kindheit als „Extrem-Leser“. Sein erster Thriller „Schnee am Strand“ erschien 2018. Davor hatte Rohan einige Kurzgeschichten und den Gedichtband „düster Zeilen“ veröffentlicht. Er bekennt sich zum Selfpublishing, weil seine Kreativität dort am besten zum Tragen kommt. Als gelernter Mediengestalter designt er seine Cover selber. So ist jedes Buch ein 100%iger Rohan de Rijk. Sein Leben als Schriftsteller und Freigeist teilt er mit der Welt in seinem Podcast „Rohan´s 13 Minutes“. Rohan de Rijk lebt heute mit seiner Familie in Mönchengladbach und in Noord-Holland.

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